Manet Paris Zweites Kaiserreich Napoleon Eugénie

Manets Reise zu Velázquez als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 2.281 KB)

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Manets Reise zu Velázquez und das Problem der kunstgeschichtlichen Genealogie

in: Umwege. Ästhetik und Poetik exzentrischer Reisen, hrsg. von Bernd Blaschke, Rainer Falk, Dirck Linck, Oliver Lubrich, Friederike Wißmann und Volker Woltersdorff, Bielefeld 2008, S. 119-158.

Kapitel I: Spanien in Paris

Seit den 1830er Jahren entwickelte sich in der französischen Hochkultur eine Spanienmode, die sich beispielsweise literarisch in Victor Hugos Drama Hernani (1830) oder Prosper Merimées Novelle Carmen (1845), in der bildenden Kunst in Louis-Philippes 1838 eröffneter Galerie Espagnole im Louvre manifestierte. 1840 bereiste Théophile Gautier – der später eine der ersten Kunstkritiken über Manet schreiben sollte – Spanien, insbesondere Madrid und Andalusien, und sein Bericht, der 1843 in Buchform erschien und bis 1875 neunmal wiederabgedruckt wurde, ermutigte Nachahmer, die mit dem ‚Gautier‘ reisten wie heutige Franzosen mit dem ‚Michelin‘. Die Gründe für die Zuwendung zu Spanien waren vielfältig. Das Interesse wandte sich einem Land zu, dessen Bevölkerung sich der napoleonischen Besetzung hartnäckig widersetzt hatte und dessen Sitten und Gebräuche von der französischen ‚civilisation‘ stark abwichen. Vor allem romantisch gesinnte Zeitgenossen suchten das ‚Archaische‘ eines Landes, in dem es noch immer die Inquisition gab (bis 1834) und das zu bereisen als Abenteuer galt. Parallel zum Interesse am Land selbst wurde die spanische Malerei des ‚siglo d’oro‘ entdeckt und in großer Zahl nach Paris gebracht. Sie diente sowohl den Romantikern um Delacroix als auch den Realisten um Courbet und später Manet als Gegenentwurf zu den klassizistischen Idealen der Académie des Beaux-Arts.

Doch es war das Zweite Kaiserreich, in dem die Begeisterung an allem Spanischen bis in die Populärkultur vordrang. Sie wurde Teil der Pariser Vergnügungskultur, die das Kaiserpaar zur Kompensation seiner repressiven Herrschaft zielstrebig förderte, mit der Begründung, es gehöre zu den obersten Pflichten eines Souveräns, die Untertanen aller Gesellschaftsschichten gut zu unterhalten. Auslöserin dieser neuen Welle der Hispanisierung war die aus spanischem Landadel stammende Abenteurerin Eugenia de Montijo, die im Januar 1853 in einer überaus pompösen Zeremonie Napoleon III. geheiratet hatte – jenen schwer einzuschätzenden, zugleich fortschrittlichen und reaktionären Herrscher über Frankreich, den Victor Hugo als „den Kleinen“ und Karl Marx als „falschen Spieler“ verspotteten. Der Ehrgeiz von Kaiserin Eugénie, wie sie nun hieß, war groß, und ihre Macht wuchs proportional zur Schwäche ihres bedeutend älteren Mannes, die in den 1860er Jahren bedrohlich zunahm. Eugénie gehörte zu den entschiedenen Verfechtern der fatalen Idee, der seit vierzig Jahren von Spanien unabhängigen mexikanischen Republik mit der Gewalt französischer Soldaten erneut eine Monarchie aufzuzwingen. Diese Unternehmung endete 1867 in einem kolossalen außenpolitischen Desaster, als Erzherzog Maximilian von Österreich, der 1864 als Kaiser von Mexiko eingesetzt worden war, von Soldaten des gewählten mexikanischen Präsidenten Benito Juáres standrechtlich erschossen wurde. Das Ereignis, in dem die Zeitgenossen bereits das Endes des Zweiten Kaiserreichs sich ankündigen sahen, veranlaßte Manet zu einem ambitionierten Historiengemälde, das aufgrund der scharfen Zensurbestimmungen nicht ausgestellt werden durfte. Erneut war es Kaiserin Eugénie, die maßgeblich daran beteiligt war, aufgrund von Streitereien über die Wiederbesetzung des spanischen Königsthrons 1870 den Deutsch-Französischen Krieg vom Zaune zu brechen, der innerhalb weniger Wochen die Niederlage der französischen Armee und den Zusammenbruch des Napoleonischen Regimes herbeiführte. Obschon der kranke und zunehmend apathische Kaiser in den wenigen Augenblicken der Handlungsfähigkeit versucht hatte, den Frieden zu retten – allein schon weil er sich außerstande sah, auf einem Pferd zu reiten und das französische Heer zu befehligen -, setzte sich Eugénie, im Verbund mit einigen Ministern aus Napoleons Kabinett und getragen von einer antipreußisch aufgestachelten öffentlichen Meinung, darüber hinweg. Als die Abgeordnetenkammer für die Kriegserklärung an Preußen stimmte, beanspruchte sie die entscheidende Rolle für sich: „Cette guerre la; c’est ma guerre“. Im Tuilerienpalast trug die ‚Spanierin‘ – wie sie anfänglich euphorisch, zum Schluß abschätzig genannt wurde – entschieden dazu bei, das Zweite Kaiserreich in den Untergang zu treiben. Im Pariser Kultur- und Festkalender hingegen zeigte sich das Spanische als pittoreskes Dauerspektakel, von Maskenbällen über Gastspiele spanischer Tänzergruppen bis zu Versuchen, den Stierkampf auch in Paris einzuführen.

Einleitung
Punkt Manet Velazquez Kapitel I: Spanien in Paris
Manet Velazquez Kapitel II: Der Zögling Goyas
Kapitel III: Maître Velázquez
Kapitel IV: Legitimität, Vaterschaft und Tradition, Teil 1
Kapitel IV: Legitimität, Vaterschaft und Tradition, Teil 2
Kapitel V: Velázquez als ‚innere Figur‘, Teil 1
Kapitel V: Velázquez als ‚innere Figur‘, Teil 2
Kapitel VI: Tradition und/oder Modernität
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