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Vorwort

in: KünstlerKritiker. Zum Verhältnis von Produktion und Kritik in bildender Kunst und Musik, hrsg. von Michael Custodis, Friedrich Geiger, Michael Lüthy und Sabine Slanina, Saarbrücken 2006, S. 7-10.

„Was vielleicht einen Künstler besser erscheinen lässt als einen anderen, ist, dass sein kritisches Gespür wacher ist. Vielleicht ist er keineswegs begabter, er hat einfach das bessere kritische Gespür.“ (Francis Bacon)

Die Moderne überantwortet dem Künstler die Aufgabe, sein Tun zu rechtfertigen, was zuvor, im Rahmen der paternalistischen Bindung an Herrscherhäuser oder der professionellen Organisation in Gildenstrukturen, nicht notwendig gewesen war. Als jedoch die Autonomisierung der Kunst, von den Künstlern ebenso ersehnt wie in ihren sozialen und ökonomischen Konsequenzen nur schwer zu bewältigen, ein eigengesetzlich strukturiertes Feld der Kunst entstehen lässt, muss sich darin manches erst herausbilden. Dazu gehören eine neue Funktion der Kunst, eine Neubestimmung der Figur des Künstlers, eine neue ökonomische Basis künstlerischer Arbeit sowie nicht zuletzt eine neue Form der Kommunikation über Kunst. Folgen wir Pierre Bourdieus Definition gesellschaftlicher Felder, die er auch auf das Feld der Kunst ausdehnte, sind dies Orte einer Interaktion, in welcher die Rollen, Plätze, Zuständigkeiten und Objektbestimmungen immer neu ausgehandelt werden. Im Rahmen solch gesellschaftlicher Interaktion entsteht auch die moderne Kunst- und Musikkritik. Sie übernimmt die Aufgabe, zwischen Künstlern, Experten und dem immer breiter werdenden Publikum zu vermitteln. Zugleich beansprucht sie die Bestimmungshoheit darüber, was oder wer legitimerweise als Kunst und als Künstler gelten kann. So betreibt die Kritik das doppelte Geschäft, im Inneren das künstlerische Feld zu regulieren und es zugleich nach außen hin kommunikabel zu machen.

Seit ihrem Aufschwung zu Beginn der Moderne befindet sich die Kunst- und Musikkritik jedoch zugleich in einer paradoxen Situation. In der Vormoderne bestimmten sich die Künste nach zwei Seiten hin. Zum einen wurden sie als Mimesis begriffen, als Spiegel der Natur, zum anderen hatten sie eine rhetorisch-pragmatische Funktion, die sie lehrreich, bewegend oder angenehm machen sollte. In der romantischen Kunstkonzeption, die zu den wesentlichen Triebkräften der Autonomisierung gehörte, tritt nun aber eine dritte, die anderen beiden in den Hintergrund drängende Dimension hervor: die Bestimmung der Kunst als Expression. Kunst wird nun als ein Inneres aufgefasst, das sich im Kunstwerk auf eine kaum aufzuklärende und kaum zu kontrollierende Weise entäußert. Diese expressive Funktion entzieht sich, im Unterschied zur mimetischen und zur rhetorisch-pragmatischen, der Kritik, und dies in voller Absicht. Denn die Kritik verbindet sich zwangsläufig mit jenen tradierten Normen, von denen man sich im Namen der inneren Notwendigkeit abzusetzen bemüht. Dass in der Romantik die uneingeschränkte Authentizität zur Leitkategorie wird, hängt folglich auch mit der bewussten Abwehr von Kritik in ihrer herkömmlichen normativen Funktion zusammen. Daraus aber erwächst der Kunst ein doppeltes Kommunikationsproblem. Problematisch wird nicht nur die Vermittlung zwischen dem subjektiven Inneren des Künstlers und der Außenseite des Kunstwerks, sondern zugleich die Vermittlung jener subjektivierten künstlerischen Praxis an das Publikum, das nicht anders kann, als die einzelne künstlerische Hervorbringung an übersubjektiven Kriterien zu messen.

Die Kämpfe um Plätze, Rollen, Legitimitäten und Diskurse im Allgemeinen und die Probleme der Kritik im Besonderen führen dazu, dass Künstler in der Moderne immer häufiger die Notwendigkeit empfinden, neben ihrer künstlerischen Produktion selbst kritisch tätig zu werden. Sie agieren als Kritiker des eigenen Werks, indem sie ihren eigenen künstlerischen Standpunkt zu bestimmen suchen, und zugleich als Kritiker anderer, indem sie sich gegenüber der zurückliegenden und der zeitgenössischen Kunst situieren. Die starke Zunahme von Künstlerschriften und Manifesten in der Moderne indiziert jene kritische Selbstermächtigung der Produzenten von Kunst und Musik, sich gegen die institutionalisierte Kritik und die an der Tradition orientierten kanonischen Positionen auszusprechen, um Raum für eigene und neue Auffassungen zu schaffen. Doch auch das einzelne Werk tritt immer häufiger als implizite oder sogar explizite Kritik vorangegangener oder gegenwärtiger künstlerischer Praktiken auf. In beiden Fällen geraten Kreativität und Kritik in ein spannungsvolles, sich nicht selten wechselseitig bedingendes Verhältnis. So scheint in der Figur des Künstler-Kritikers die für die Moderne bezeichnende Erfahrung eingeschlossen, sich die Normen selbst setzen zu müssen, ohne aber die Brücken zum Kunst- bzw. Musikpublikum sowie zu den parallel laufenden künstlerischen Strömungen abzubrechen. Die kritische Selbstverortung bezieht sich dabei auf zwei unterschiedliche Koordinaten. Einmal arbeitet der moderne Künstler mit Blick auf das Museum, die Bibliothek oder das Repertoire, also mit Blick auf den eigenen Ort in der Geschichte. Zu dieser vertikalen, diachronen Koordinate gesellt sich die horizontale, synchrone Koordinate, wenn sich der Künstler zugleich an der eigenen Gegenwart misst, sowohl im künstlerischen wie im außerkünstlerischen Sinne. Die kritische Bestimmung und Deutung von Geschichte und Gegenwart sind nicht zu trennen von der Selbstverortung darin.

Die Tagung, die dem vorliegenden Band zugrunde liegt, wurde von Musik- und Kunstwissenschaftlern gemeinsam konzipiert und durchgeführt. Entsprechend gleichgewichtig waren auch die Beiträge verteilt. Den Organisatoren ging es nämlich nicht zuletzt um die Frage, ob sich im Vergleich von Musik und bildender Kunst strukturelle Muster der Relation von künstlerischer Produktion und Kritik erkennen lassen. Um den Perspektivenwechsel von einer Kunstkritik, unter der man gemeinhin die Tätigkeit professioneller Kritiker versteht, zu jener hier interessierenden Doppelfigur des Künstler-Kritikers deutlich zu machen, wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion eröffnet, die je zwei Komponisten (Moritz Eggert und Heiner Goebbels) und bildende Künstler (Christian Jankowski und Eran Schaerf) miteinander ins Gespräch brachte. Die Diskussion zum Verhältnis von Produktion und Kritik, die nachfolgend dokumentiert wird, kreiste schwerpunktmäßig um die Selbstkritik der Kunst, die Kritik der professionellen Kritiker sowie den kritischen Dialog der Künste untereinander. Darauf folgten drei Sektionen mit jeweils zwei Vorträgen, die das Sektionsthema aus musikwissenschaftlicher oder kunsthistorischer Perspektive in den Blick nahmen und hier als überarbeitete Aufsätze in drei Abteilungen vorgelegt werden.

Die erste Abteilung gilt Komponisten und Künstlern als Kritikern. Die beiden Aufsätze von Susanne Kogler und Sabine Slanina gehen kasuistisch vor, indem sie zwei Komponisten (Robert Schumann und Hugo Wolf) beziehungsweise einen Künstler (Eugène Delacroix) herausgreifen, die nicht nur als Kritiker tätig waren, sondern diese Tätigkeit als integralen Bestandteil ihrer Produktivität begriffen. Beide Untersuchungen bewegen sich in einem zeitlich engen und sozialgeschichtlich spezifischen Rahmen, der mit dem Autonomieproblem am Beginn der Moderne unmittelbar verknüpft ist. Auf diese Weise exponieren sie zugleich den Problemhorizont des ganzen Bandes. Sowohl an Schumann und Wolf wie auch an Delacroix lässt sich das kunstkritische Vorgehen beobachten, die Tradition der eigenen Kunst auf eigene Weise zu reformulieren, um daraus eine Kritik der Gegenwart hervorgehen zu lassen und zugleich das eigene Tun in eine künstlerische Entwicklungsgeschichte integrieren zu können, die von jener maßgebenden Vergangenheit unmittelbar in eine der Gegenwart überlegene Zukunft zu führen scheint.

Die zweite Abteilung gilt dem Kunstwerk als Ort und Instanz der Kritik. Die Texte von Michael Custodis und Bernhard Kerber fragen danach, inwieweit ein Werk bewusst oder unbewusst eine Position bezieht, die zugleich als Kritik aufzufassen ist: als Kritik an tradierten Darstellungsformen, vorherrschenden Produktionsweisen, kanonischen Rezeptionsweisen oder Klischees über Künstler und Kunst, die das Kunstwerk in einer Spannung zwischen Selbstbezug und Fremdbezug hält. Kerber widmet sich dabei vor allem der Dimension des Selbstbezugs, indem er mit Blick auf die konzeptuelle Wendung der Kunst seit Duchamp die selbstkritische Rückwendung der Kunst auf sich selbst exponiert. Im Zeichen der permanenten modernistischen Selbstüberbietung der Kunst falle das Kunstmachen, so Kerbers These, mit der Arbeit am Kunstbegriff zusammen. Custodis wiederum widmet sich dem anderen Pol der im Kunstwerk zu konstatierenden Spannung, dem Fremdbezug. Bei der Analyse eines späten Schönberg-Werkes, A Survivor from Warsaw op. 46 von 1947, geht es einerseits um die Darstellung des Undarstellbaren, konkret der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Zum anderen geht es um die im Stück nachweisbare Auseinandersetzung mit Bach, den Schönberg gegen dessen Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten als Referenz für das eigene Schaffen zu sichern versuchte.

Die dritte Abteilung schließlich, mit Aufsätzen von Volker Straebel und Karl Schawelka, geht den Interferenzen zwischen Musik und bildender Kunst nach. Sie untersucht Fälle von Wahlverwandtschaft zwischen Musik und bildender Kunst und fragt danach, wodurch der Ausgriff der einen Kunst auf die jeweils andere motiviert sein könnte. Straebels Text zeigt auf, wie Potenziale, die in der amerikanischen und europäischen Avantgardemusik der Nachkriegszeit verborgen lagen, erst in der Rezeption durch bildende Künstler aktiviert wurden: in Konzeptkunst, Happening und Performance, d.h. in Praktiken, welche die Grenzen der bildenden Kunst sprengten und sich wesentlich der Inspiration durch jene neuartigen musikalische Formen verdankten. Schawelka nähert sich dem Thema über das Phänomen der Synästhesie, das er am Beispiel von Klee untersucht. Schawelkas Argumentation verlässt die erwartbaren Bahnen, indem er zeigen kann, dass Klee die neurophysiologischen Verbindungen zwischen den Sinnen zu einer Zeit fruchtbar machte, als sie von der Neurophysiologie selbst kaum erforscht waren. Da Klee selbst kein Synästhetiker war, entsprang seine Verbindung von Hören und Sehen einem analytischen und zugleich genuin künstlerischen Anliegen. Der Rekurs auf das Musikalische eröffnete ihm den Weg, die bildende Kunst über ihren angestammten Bereich hinauszutreiben.

Die Tagung und der vorliegende Band wurden bewusst knapp gehalten. Den Herausgebern ging es nicht um ein möglichst vollständiges Vermessen des Feldes, sondern vielmehr um das exemplarische Aufzeigen der Perspektiven, unter denen es in den Blick genommen werden kann. Unser Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die dieses Projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 626 Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste an der Freien Universität Berlin ermöglichte. Wir danken außerdem den beteiligten Künstlern sowie den Referentinnen und Referenten für die Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen. Last but not least danken wir Melanie Baumgärtner, Dahlia Borsche, Tobias Geissmann und Markus Kettern für ihre Hilfe bei der Redaktion.