Eugène Delacroix Journal Romantik le vague Farbe

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Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne. Delacroix – Fontana – Nauman

in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 46/2, 2001, S. 227-254.

Kapitel II: Eugène Delacroix

Mit dem Zurücktreten der religiösen Weltsetzung, mit dem Fraglichwerden des Weltbeobachters Gott, auf dessen Blick sich alles bezieht, stellt sich die Frage, für wessen Blick die Welt wohl geschaffen sei. Die Romantik antwortet mit dem Subjekt als dem Beobachter der Welt. Das Selbst findet sich nicht mehr gespiegelt in der Welt – in Gott oder in der Natur -, sondern nur noch in sich selbst. Selbst- und Weltbeobachtung beginnen sich zu verschränken, das Subjekt wird, mit Luhmann gesprochen, zum „Beobachter zweiter Ordnung“, zum Beobachter des Beobachtens. Im Zuge dessen entdecken die Künstler der Romantik die eigentümliche Ambivalenz ihrer Produktivität, in der Authentizität zur Losung und zugleich unerreichbar wird und das Problem der Kommunikation sich auf allen Ebenen stellt. Von der Ambivalenz der eigenen Produktivität lassen sie sich faszinieren – oder sie verzweifeln daran, wenn sich zur Angst vor der Leere des gottlosen Alls die Angst vor der Leere der menschlichen Natur gesellt. Kommuniziert werden nun weniger bestimmte Inhalte, sondern Subjektivität selbst, sofern man unter Subjektivität die Vermittlung von Selbst und Welt versteht.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schreibt Eugène Delacroix sein Journal, sein Tagebuch; zwischen 1822 und 1863, dem Todesjahr des Künstlers, schwillt es zu erheblichem Umfang an. Im Feld der bildenden Kunst handelt es sich um eines der frühesten und ausführlichsten Zeugnisse künstlerischer Selbstreflexion. Kaum zuvor wurde die Analyse der künstlerischen Praxis so unmittelbar mit der Ausleuchtung des eigenen Ich verwoben, und wenige Künstler haben ihr Tun auf so distanzierte und zugleich leidenschaftliche Weise beschrieben wie Delacroix. Das geschah durchaus auch im Versuch, sich von der Künstlerkrankheit der Zeit zu heilen, dem ‚ennui‘, von dem auch Delacroix sich befallen sieht, und gegen den er nur ein Mittel kennt: „Produzieren, produzieren!“, wie er sich im Tagebuch immer wieder zuruft. Entscheidend sei es, „den Geist ohne Unterlaß arbeiten zu lassen“: „Das Geheimnis, dem ‚ennui‘ nicht zu verfallen, besteht darin, jedenfalls für mich, Ideen zu haben. Ich kann also nicht genug nach den Mitteln suchen, sie entstehen zu lassen.“

Das Journal ist ein einziges ausgedehntes Selbstgespräch, worin Delacroix zugleich als Autor, Adressat, Verhandlungsgegenstand und sogar als Leser seines eigenen Schreibens erscheint. So notiert er am 14. Mai 1824: „Deine Seele verlangt von dir, auch zum Zuge zu kommen. Und warum sich gegen ihren Befehl stemmen?“ – d.h. Delacroix spricht zu sich über seine Seele und tritt bei sich selbst als deren Anwalt auf. Schon in der allerersten Eintragung vom 3. September 1822 doppelt sich das Subjekt, indem das Journal zum Mittel der Selbstverbesserung erklärt wird: „Ich beginne mit der Ausführung des schon so oft gefaßten Vorhabens: ein Tagebuch zu schreiben. Was ich dabei am meisten wünsche, ist, nicht aus dem Blick zu verlieren, daß ich es für mich allein schreibe; ich werde daher wahrhaftig sein, wie ich hoffe; und ich werde dadurch besser werden. Dieses Papier wird mir meine Abweichungen vorhalten.“

Als Manuskript ist das Journal wesentlich ungeordneter als es in den publizierten Varianten erscheint: Inhaltlich zusammenhängende Einträge ziehen sich fragmentiert über verschiedene Tagesnotate hinweg, manches wird an späterer Stelle modifiziert wieder abgeschrieben, wobei Delacroix bei dieser Gelegenheit sich selbst kommentiert und korrigiert, ohne das Korrigierte aber zu löschen. Über viele Jahre hinweg finden sich zudem, erratisch den Schreibduktus unterbrechend, kurze Abhandlungen über verschiedene malerische Sachfragen, die Vorarbeiten zu einem schließlich doch nie publizierten Dictionnaire des Beaux-Arts darstellen. Genau darin aber liegt das Faszinierende des Journal, das sich allerdings nur dem erschließt, der es von vorne bis hinten liest und auf diese Weise dessen Sprunghaftigkeit, Heterogenität und innere Gespanntheit erfährt.

Delacroix‘ Schreiben entfaltet sich vom allerersten Eintrag an in der Spannung zwischen der Angst vor dem Selbstverlust und einer unerschütterlichen Selbstgewißheit. Die herausragende Stellung, die das Journal in der Geschichte moderner künstlerischer Selbstreflexion einnimmt, ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, daß das Angst-Ich und das selbstgewisse Ich sich gegenseitig in Schach halten und Delacroix sich im Schreiben nicht auf eine der Seiten schlägt, sondern beides aufeinanderprallen läßt. So wird das Journal zum Monument eines einzelnen Charakters wie zugleich zum Zeugnis der Widersprüchlichkeit moderner Subjekterfahrung. Eine der Stellen, an der eine anfängliche Verunsicherung plötzlich – auch sprachlich unvermittelt – in trotzige Selbstgewißheit umschlägt, findet sich unter dem Datum des 7. April 1824. Aufschlußreich ist, daß beide Gemütszustände mit dem Medium des Schreibens verflochten sind:

„Ich habe soeben das Vorhergehende überflogen: Ich beklage die Lücken. Es scheint mir, als wäre ich noch immer Herr über die Tage, über die ich geschrieben habe, obschon sie vergangen sind. Aber diejenigen, die dieses Papier nicht erwähnt, sie sind, als hätten sie nie existiert. / In welche Finsternis bin ich gestürzt? Kann es sein, daß ein elendes und vergängliches Papier aufgrund meiner menschlichen Schwäche das einzige Zeugnis meiner Existenz ist, das mir bleibt? Die Zukunft ist vollkommen schwarz. Die Vergangenheit, die keine Spur hinterließ, ist es ebenso. Ich möchte mich über den Zwang beschweren, stets darauf zurückgreifen zu müssen; aber warum sich immer über meine Schwäche empören? Kann ich einen Tag ohne Schlaf oder ohne Essen sein? So jedenfalls steht es um meinen Körper. Aber mein Geist und die Entwicklung meiner Seele, all dies wird ausgelöscht sein, weil ich das, was mir davon bleiben kann, nicht der Verpflichtung zum Schreiben verdanken will. Im Gegenteil, der Zwang zu einer kleinen Pflicht, die täglich wiederkehrt, wird eine gute Sache sein. / Eine einzige Beschäftigung gibt dem Leben regelmäßig Halt und ordnet den ganzen Rest des Lebens: Alles wird sich darum herum anordnen. Indem ich die Geschichte meiner Erfahrungen aufbewahre, lebe ich doppelt; die Vergangenheit wird zu mir zurückkehren. Die Zukunft ist stets da.“

Manches von dem, was Delacroix notiert, gehört zweifellos zum geläufigen Repertoire der Romantik, die das Kunstwerk als Resultat des Ausdruckswillens und -vermögens eines Subjekts begriff. Authentizität gewinnt das Journal indessen da, wo Delacroix die Grenzen der Ausdrucksästhetik zu erkunden beginnt. Hier werden wir Zeugen eines Aufbruchs, der den Malerautor in ungesichertes Terrain führt. Auffällig häufig thematisiert Delacroix das ‚Unbestimmte‘, ‚le vague‘, als einen der größten Reize der Malerei. Auch dies gehört zum romantischen Repertoire. Doch er geht darüber hinaus, wenn er zugleich bemerkt: „Die Originalität des Malers braucht nicht immer ein Sujet“ – wobei Delacroix unter ‚Sujet‘ das dargestellte Thema eines Bildes versteht. Worin liegt dann der Anlaß des Bildes, und was kommuniziert ein ’sujetloses‘ Kunstwerk? Was meint ‚Unbestimmtheit‘, wenn sie nicht nur die Art und Weise bezeichnet, in der das Bild etwas zeigt, sondern zum eigentlichen ‚Bildinhalt‘ avanciert? ‚Unbestimmtheit‘ dürfte dann am ehesten als Chiffre für ein Schweben zwischen ‚innen‘ und ‚außen‘ aufzufassen sein – für ein Schweben, das auf keine der beiden Seiten hin aufgelöst werden kann, sondern ins Kunstwerk eingetragen und als Offenheit an den Betrachter weitergegeben wird. Das aber bedeutet die gleichsam kopernikanische Wende, daß Subjektivität – als Vermittlung von Selbst und Welt, ‚innen‘ und ‚außen‘ – zum neuen und eigentlichen Inhalt des Kunstwerks wird. Es wird zum Ort, wo dieser Augenblick der Vermittlung Form gewinnt. Hundert Jahre nach Delacroix wird Yves Klein dasselbe so formulieren: „Malerei dient nur dazu, für andere den malerischen, abstrakten Moment auf faßbare und sichtbare Art zu verlängern.“

Damit ergeben sich für Delacroix gleich zwei Probleme, denen er sich im Journal zu stellen versucht. Das eine betrifft das Funktionierenkönnen dieser Vermittlung, das andere deren Legitimität. Denn Subjektivität als ‚Inhalt‘ zu entdecken läßt zugleich die Fragen aufbrechen, wie dann Intersubjektivität zu begreifen sei, und wie es zudem gerechtfertigt werden könne, Subjektivität überhaupt mitteilen zu wollen.

Was zunächst den ersten Punkt – die Möglichkeit intersubjektiver Kommunikation – betrifft, so heißt es dazu in einem frühen Eintrag: „Wenn ich ein gutes Bild gemalt habe, habe ich nicht einen Gedanken niedergeschrieben. Das ist, was die anderen sagen. […] Sie rauben der Malerei alle ihre Vorzüge. Der Schriftsteller sagt um des Verständnisses wegen beinahe alles. In der Malerei ergibt sich das Verständnis wie eine geheimnisvolle Brücke zwischen der Seele der dargestellten Personen und derjenigen des Betrachters. Er sieht Figuren gemäß der äußeren Natur; aber in seinem Inneren denkt er die wahren Gedanken, die allen Menschen gemeinsam sind […].“ Und er fügt hinzu: „Die Kunst des Malers ist umso intimer im Herzen des Menschen, je materieller sie erscheint; denn der Maler gibt, wie auch die äußere Natur, selbstverständlich sowohl dem Vollendeten seinen Raum wie auch dem Unvollendeten, d.h. auch demjenigen, was die Seele an den Dingen, die nur die Sinne gefangen nehmen, an innerlich Bewegendem entdeckt.“

Was das Bild an Wiedererkennbarem darstellt, ist gemäß Delacroix bloß ein Vehikel für ein ‚geheimnisvolles‘ Anderes, das er zugleich mit dem Begriff des ‚Materiellen‘ zu fassen versucht. Die Lesbarkeit der Literatur dient ihm als Gegenfolie, um das ‚materielle Andere‘ der Malerei näher zu umschreiben. Dem Buchstaben der Schrift stellt er die Hieroglyphe der Malerei gegenüber: „Die der Malerei eigentümlichen Emotionen sind gewissermaßen handgreiflich […]. Man genießt die wirklichkeitsgetreue Darstellung der Dinge, als sähe man sie wirklich, und im selben Augenblick erhitzt und entführt einen der Sinn, den die Dinge für den Geist in sich tragen. Diese Figuren, diese Dinge, die für einen Teil unseres intelligenten Wesens die Sache selbst zu sein scheinen, erscheinen wie eine solide Brücke, die die Imagination benutzt, um bis zur geheimnisvollen und tiefen Empfindung vorzudringen, deren Hieroglyphe die Formen in gewisser Weise sind, aber eine Hieroglyphe, die in ganz anderer Weise sprechend ist als eine kalte Wiedergabe, die nur die Stelle eines Druckbuchstabens einnimmt: eine erhabene Kunst also, wenn man sie mit derjenigen vergleicht, bei der der Gedanke den Geist nur mit der Hilfe von Buchstaben erreicht, die in eine konventionalisierte Ordnung gebracht sind; eine sehr viel kompliziertere Kunst, wenn man will, da der Buchstabe nichts ist und der Gedanke alles zu sein scheint, aber tausendmal ausdrucksstärker, wenn man bedenkt, daß unabhängig von der Idee das sichtbare Zeichen, die sprechende Hieroglyphe, Zeichen ohne geistigen Wert im Werk des Schriftstellers, beim Maler eine Quelle des lebendigsten Genießens wird.“

Delacroix‘ Wunsch nach der Mitteilung tiefer Empfindung und „lebendigsten Genießens“, das Verlangen, die eigene „Seele mit derjenigen eines anderen zu identifizieren“, führt ihn dazu, das Bild als Medium im eigentlichen Wortsinn zu verstehen: als Kommunikationsmittel, das eine Brücke zwischen dem „Geist des Malers und dem des Betrachters“ schlägt. Indem er aber gleichzeitig von der ‚Materialität‘ und ‚Handgreiflichkeit‘ des Mediums spricht, enthüllt sich die Doppeldeutigkeit dieses Begriffs. Es steht zwischen dem miteinander Vermittelten, verbindet und trennt es im gleichen Zuge. Die Unmittelbarkeit, nach der Delacroix strebt – im Niederschlag seiner Empfindungen im Bild wie auch in der Wirkung des Bildes beim Betrachter -, wird durch das ‚Dazwischensein‘ des Vermittlungsmediums von vornherein durchkreuzt, nämlich ans Materielle entfremdet.

Wie also kann Delacroix die Materialität des malerischen Mediums, welche die Unmittelbarkeit zerstört, als eigentlichen Reiz der Malerei empfinden? Warum verachtet er die akademischen Maler für ihren haarfeinen Pinselstrich, der das Bild hinter dem Dargestellten zum Verschwinden bringt, und kontert mit dem Konzept des ‚Unbestimmten‘, das die Selbsttransparenz des Mediums trübt? Erneut ist also danach zu fragen, welches Potential Delacroix im ‚Unbestimmten‘ erkennt – das, wie jetzt deutlich wird, mit dem ‚Materiellen‘ des malerischen Mediums in direktem Bezug steht. Im Unbestimmten des Bildes erkennt Delacroix offensichtlich eine Möglichkeit, das Unbestimmte von dessen Herkunft sprechen zu lassen. Und die Materialität der Malerei wiederum ist das Indiz dafür, daß es sich bei dieser Herkunft um eine dunkle, ’somatische‘ Energie handelt, die in ihr ’spricht‘.

So ist es bezeichnend, welche Antwort er auf die zweite der oben angesprochenen Fragen findet, nämlich wie es zu rechtfertigen sei, daß die eigene Seele nicht nur nach Ausdruck strebe, sondern auch noch danach, sich als Kunstwerk gleichsam auszustellen. Er vergleicht diesen Drang mit einem vitalen körperlichen Bedürfnis: „Ist ihre [=der Seele] Forderung lächerlicher als das Verlangen nach Schlaf, das deine Glieder anmelden, wenn sie und deine ganze körperliche Natur müde geworden sind?“ Wie ’somatisch‘ diese Forderung der Seele nach Mitteilung wirklich ist, zeigt sich in einer der ergreifendsten Passagen des Journal, in der Delacroix über den Genuß spricht, den einem Maler allein sein eigenes Metier bieten kann. Am 11. April 1824 schreibt er: „Den Velazquez gesehen und ihn zum Kopieren erhalten. Ich bin von ihm ganz besessen. Das ist es, was ich so lange gesucht habe, dieses Dicke und doch Verfließende. […] / Ich kehre früh nach Hause zurück und beglückwünsche mich, meinen Velazquez kopieren zu können, und ich sprühe vor Lebenslust.“

Doch dann überfällt Delacroix eine Produktionshemmung, die in eine Reflexion über die Punktualität der Inspiration mündet.

„Welche Verrücktheit, sich stets für die Zukunft Sujets aufzuheben, die schöner als andere sein sollen. / […] Mit dieser dummen Manie macht man stets Dinge, für die man nicht aufgelegt ist, und die folglich schlecht herauskommen; je mehr man davon macht, desto schlimmer wird es. Zu jeder Zeit kommen mir hervorragende Ideen, und statt sie auszuführen, in dem Augenblick, in dem sie vom Reiz gesättigt sind, den ihnen die Vorstellungskraft im Zustand verleiht, in dem sie sich gerade befindet, verspricht man sich, sie später aufzugreifen, aber wann? Man vergißt sie wieder, oder was schlimmer ist, man findet keinerlei Interesse mehr an dem, was einem zur Inspiration geeignet erschien. Bei einem so vagabundierenden und leicht zu beeindruckenden Geist jagt eine Phantasie die andere, schneller als der Wind dreht und das Segel in die entgegengesetzte Richtung umschlägt: Es geschieht, daß ich viele Sujets zugleich in mir habe. Nun, was soll ich damit machen? Sie werden im Magazin liegen und kühl auf ihre Verwendung warten, und niemals wird sie die Inspiration des Augenblicks mit dem Atem des Prometheus beseelen: Man wird sie aus der Schublade ziehen müssen, wenn es die Notwendigkeit gibt, ein Bild zu machen! Das ist der Tod des Genies. Was geschieht heute abend? Seit einer Stunde schwanke ich zwischen Mazeppa, Don Juan, Tasso und hundert anderen hin und her. […] / Was bestimmt meine Wahl unter den Sujets, die ich mir gemerkt habe, weil sie mir eines Tages schön erschienen waren, jetzt, wo ich in einer Stimmung bin, die allen gleichermaßen entspricht? Zwischen zwei schwanken zu können bedeutet nichts anderes als das Fehlen der Inspiration.“ Mitten in dieser Klage aber kehrt die „Besessenheit“, die der Velazquez in ihm auslöste, zurück: „Sicher, wenn ich in diesem Augenblick die Palette nähme, und ich sterbe vor Verlangen danach, dann verfolgte mich der schöne Velazquez. Ich möchte auf einer braunen oder roten Leinwand schöne, dicke, fette Farbe verstreichen.“

Es scheint, als würde nach all dem zaudernden Schwanken zwischen diesem und jenem Sujet, die ihm alle gerade nichts gelten, plötzlich das wahre Begehren der Malerei sich Bahn brechen. Die Absicht, das Bild zu kopieren, das ihn in seiner Erscheinung zwischen Dicke und Verfließen faszinierte, kippt in den Wunsch, „schöne, dicke, fette Farbe“ zu verstreichen. Es ist nicht nur ein Malakt, den Delacroix hier imaginiert, sondern ein Lebensakt, bei dem das Maler-Ich als Medium erscheint, durch das hindurch ein unbekanntes ‚Es‘ nach lustvollem Ausdruck drängt, nach genießender Gegenwärtigkeit und gerade darin sich entgeht. Es zeigt sich als ein genuin malerisches Genießen, das unmittelbar mit dem Medium der Malerei, seinen Pasten und Bindemitteln, der Zähflüssigkeit der Farbe und dem intensiven Geruch verbunden ist. Vor allem aber löscht der Wunsch, schlichtweg Farbe zu verstreichen, die Absicht aus, das Bild zu kopieren. Würde er verwirklicht, hinterließe er statt des Bildes eines spanischen Edelmannes lediglich eine unförmige Spur. Was hier imaginiert wird, ist kein planvolles Produzieren mehr, aber auch kein Selbstausdruck des künstlerischen Ichs – es sei denn, man setzte dieses mit den Farbwülsten gleich, die auf der Leinwand zurückblieben. Was sich Delacroix an anderer Stelle seines Tagebuchs von der Art und Weise seines Produzierens wünscht, nämlich sich darin „ein wenig zu verlieren und im Machen zu finden“, läßt hier seine äußerste, sozusagen ‚unbewußte‘ Konsequenz aufscheinen. Das sich verlierende Finden offenbart den kreativen Akt – wie Marcel Duchamp formulieren wird -, als „arithmetische Beziehung zwischen dem Unausgesprochenen, jedoch Beabsichtigten und dem unbeabsichtigt Ausgesprochenen“.

Delacroix berührt die Grenze, an der die Malerei als performativer Akt von unbestimmter Herkunft und unbestimmter Aussage erscheint, als selbstbezügliches Begehren nach diesem Akt. Die ‚Leere‘ des Ausdrucks setzt den Eigensinn des Mediums frei, aber nicht im Sinne der abstrakten Malerei, sondern einer Materialität, die für den Körper des Künstlers einzustehen scheint. In der „schönen, dicken, fetten Farbe“ wird das Medium subjektiviert und das Subjekt medialisiert. Intimität und Fremdheit, Authentizität und Depersonalisierung schlagen ineinander um. Den Punkt, an dem die Malerei zum ‚Fleck‘ wird, hat Delacroix in seinem Journal berührt; ob überhaupt und in welcher Weise es sich auch in den Bildern ereignet, wäre ein eigenes Thema, das aufzugreifen hier unterbleiben muß.

Kapitel I: Einleitung
Punkt Kapitel II: Eugène Delacroix
Pfeil Kapitel III: Lucio Fontana
Kapitel IV: Bruce Nauman
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